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Arto Paasilinna – „Das Jahr des Hasen“

Dieses Buch habe ich in dem kleinen privaten Lesekreis kennen lernen dürfen, den ich – wenn möglich – einmal im Monat besuche. Wir Zuhörerinnen hatten unheimlich Spaß, als uns die Lektüre vorgetragen wurde – obwohl es in dem Buch manchmal ganz schön ernst zuging. Und das ist gerade das gewisse Etwas dieses Buches – es ist urkomisch und todernst zugleich.

Das Buch

Der Journalist Vatanen ist schwer angeödet und desillusioniert.
Seine Ehe ist schon seit Jahren eine Qual, denn seine Frau ist kalt und herzlos. Nicht nur, dass sie ihn betrogen hat; sie hat auch noch das Kind, dass sie von ihrem Seitensprung erwartet, abgetrieben. Als ihr Mann hierüber traurig war, fuhr sie ihn an, ob er wegen eines toten Embryos eifersüchtig sei.

Doch nicht nur diese Ehe ist für Vatanens Magengeschwür verantwortlich. Auch der immer gleiche Job tötet ihm den Nerv, lässt ihn zynisch werden.

Als er eines abends mit seinem – ebenso gebeutelten - Kollegen von einem langweiligen Pressetermin nach Hause fährt, ändert ein Autounfall die Richtung in Vatanens Schicksal: sein Kollege fährt einen jungen Hasen an. Seltsam berührt von dem Un- bzw. Zwischenfall, zwingt Beifahrer Vatanen den Fotografen zum Umkehren. Er sucht den getürmten, verletzten Hasen im nahen Wald, findet ihn, schient ihm den gebrochenen Lauf – und bereits hier geht eine Wandlung vor ihn dem sonst so abgestumpften Menschen. Er bleibt bei dem Tier und rührt sich erstmal nicht.

Vatanens Kollege lässt ihn im Waldstück zurück, als er sich auf sein Rufen nicht meldet. So verbringt der Journalist viel Zeit mit dem Hasen – und hat bald gar keine Lust mehr auf Zuhause, Job und Ehefrau.

Geschickt schlägt er alle Versuche seiner Mitmenschen zurück, ihn in das gewohnte Leben zurück zu holen. Vatanen und der Hase begeben sich zusammen auf eine seltsame und zufällige Wanderschaft. Der Aussteiger und der Hase erleben als seltsames Gespann nun Dinge von ebenso unglaublicher Einfachheit und Schönheit wie auch von enormer Spannung und Grausamkeit. Und immer hat man das Gefühl – das kann doch wohl nicht wahr sein. Oder – so was gibt’s nur in Finnland. Oder – wer kommt denn auf so was?

Aber – verraten möchte ich lieber nichts davon, denn es macht einen Riesenspaß, gewissermaßen mitzureisen mit dem Hasen und seinem Herrn und zu lesen, wie sich ein Abenteuer aus dem anderen ergibt.

Großartig ist auch die Sprache Paasilinnas – todernst und durch eine ganz eigene Ironie schon wieder zum Schreien komisch. Besonders die Dialoge. Wenn zum Beispiel der von Vatanen zu Rate gezogene Tierarzt ganz genau erklärt, wie die Wiesenkicher aussieht und wo man sie findet – eben jene Pflanze, die ganz unbedingt auf dem Speiseplan des Hasen stehen solle. Zum besseren Verstehen malt er sie für Vatanen auf. Und nicht nur das – er sinniert: „Man müsste gelbe Farbe haben, dann wäre es besser zu sehen“ Schließlich besorgt der Tierarzt sich diese noch aus dem Farbenkasten seines Sohnes und fragt dann Vatanen: „Haben Sie eine Aktentasche? Dann können Sie das Bild reinstecken und brauchen es nicht zu falten?“

Am Ende von Vatanens Reise wird man durch eine Art Zusammenfassung noch mal an all die Unglaublichkeiten erinnert, die er und sein felliger Freund erlebten.  Und auch dieses Ende ist eine einzige Unglaublichkeit...

Der Autor

Arto Paasilinna wurde 1942 im lappländischen Kittilä geboren. Der Journalist und Schriftsteller ist einer der populärsten Autoren Finnlands.
Für seine in mehrere Sprachen übersetzten Werke erhielt er zahlreiche Literaturpreise – auch außerhalb seines Heimatlandes.

„Wer einmal ein Buch von Paasilinna gelesen hat, der wartet nunmehr ungeduldig, bis das nächste erscheint.“ (ORF)

„Arto Paasilinna wirft in seinem Roman einen schrägen Blick in die finnische Seele, und er spielt elegant mit Klischees und Motiven der literarischen Tradition.“ (Neue Zürcher Zeitung“)

Erschienen ist da Taschenbuch „Das Jahr des Hasen“ übrigens 1999 im BLT Verlag (ISBN 3-404-92030-9)
In Finnland erschien es bereits im Jahre 1975!!!

ZUSATZ-TIPPS

BRIGITTE-HÖRBÜCHER „Starke Stimmen“

Das ist wirklich stark. Hörbücher haben mich ja eigentlich bisher nicht so gereizt. Aber, es ist auch mal schön, vorgelesen zu bekommen. Und mit diesen starken Stimmen ist es besonders schön.

Elke Heidenreich liest im ersten „Band“ der mehrteiligen BRIGITTE-Hörbuchserie die „New Yorker Geschichten“ von Dorothy Parker. Ein kurzweiliger Genuss: Sie durchleidet die Höhen und Tiefen der Dorothy Parker – überschäumend, wenn sie in Champagner-Laune nach Herzenslust über die Dummheit der „.besseren Gesellschaft“ lästert. Flüsternd, mit brechender Stimme, wenn der Liebeskummer übermächtig wird.

Parkers „New Yorker Geschichten“ sind die Erzählungen einer starken Frau aus einer Zeit, als Frauen noch schwach und hilfsbedürftig zu sein hatten. Sie sagt die Wahrheit: über die Verlogenheit der Leute, die Geld haben, über die Demütigung der Leute, die kein Geld haben, über die Hoffnung der Menschen, die sich nach Liebe sehnen, und über den Absturz der Menschen, die diese Liebe nicht bekommen

Dorothy Parker (1893-1967) arbeitete als Kritikerin für „Vanity Fair“, Esquire“ und den „New Yorker“, schrieb Lyrik, Kurzgeschichten, Dramen und Drehbücher. Legendär wurde sie als Gastgeberin der „Algonquin-Runde“, einem Literaturzirkel, der sich in dem gleichnamigen Hotel in Manhattan traf. Die Legende sagt, solange Dorothy Parker anwesend war, traute sich niemand auf die Toilette – aus Angst, Opfer ihrer vernichtenden Lästereien zu werden. Verfilmt wurde das schillernde Leben der Autorin unter dem Titel „Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis“ mit Jennifer Jason Leigh in der Hauptrolle.

Im zweiten „Band“ ist Fritzi Haberland die „Vorleserin“. Sie leiht der jungen Doris ihre Stimme, der Hauptfigur und Ich-Erzählerin in „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun. Und man kann schlicht nicht davon lassen.

Die Story: Doris ist hübsch, jung und gelangweilt: Ihr Job in einer Schreibstube hält sie gefangen. Also stürzt sie sich in das dekadente Berliner Nachtleben der 20er Jahre, verliebt sich, wird verlassen, strandet, wird aufgelesen, verliebt sich wieder, haut ab, schlägt sich durch, findet endlich Halt und verliert am Ende alles außer ihrem Lebensmut. Irmgard Keun erzählt die Geschichte einer verzweifelten Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben in einer Zeit, als sich der Untergang von Freiheit und Menschlichkeit in Deutschland bereits abzeichnete.

Irmgard Keun (1905-1982) gehört zu den vielen großartigen Künstlern, die in den 30er Jahren vor den Nazis ins Exil fliehen mussten. 1940 kehrte sie mit falschen Papieren nach Deutschland zurück, wo sie unerkannt lebte.

Nach 1945 konnte sie nicht mehr an ihre früheren Erfolge anknüpfen. Ihre Romane wurden erst Ende der 70er Jahre wieder entdeckt und sind im Claassen Verlag erschienen.

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Nele-Marie Brüdgam - "In guten wie in schlechten Zeiten“

Von wegen „der nächste Buchtipp folgt bald“. Fast ein Jahr ist vergangen, bevor ich nun den Buchtipp „wieder belebe“ Viele wissen – die Pause kam dadurch, dass ich meine Freizeit mit dem Vor- und Nachbereiten DES Ereignisses 2004 verbrachte: unserer Hochzeit. Für mich war es so ziemlich das Schönste, was ich bisher erlebt habe – und all der Aufwand hat sich sehr gelohnt.
Aber- das soll hier jetzt nicht Thema sein – obwohl ich wohl mittlerweile locker einen Ratgeber schreiben könnte zur Hochzeitsplanung... Na, lassen wir das.

Mein Buchtipp hat aber doch ein bisschen mit dem Thema zu tun, denn er handelt von so genannten Langzeitpaaren und ihren Erfolgsgeschichten. Das Buch ist ein – sehr passendes – Weihnachtsgeschenk von unserem Freund Matthias. Wir haben es Heiligabend ausgepackt und am 1.Weihnachtsfeiertag hatte ich es halb durchgelesen. Sagt doch schon alles, oder?

Das Buch
„Ich möchte keinen Tag missen aus dem Leben mit meiner Frau. An jeden einzelnen Tag erinnere ich mich gern“, sagt Alfred. Seit fast 70 Jahren sind Gretel und er ein Paar, doch in der ersten Zeit verbrachten sie nur sehr wenige Tage miteinander: Bevor sie zusammen in eine Wohnung zogen, kannten Gretel und Alfred sich 13 Jahre, waren sie 6 Jahre verheiratet und hatten zwei gemeinsame Kinder. Krieg und Gefangenschaft waren schuld an der räumlichen Trennung – und als die beiden sich wieder hatten, mussten sie sehr, sehr langsam eine gemeinsame Existenz aufbauen.

Anette (32) und Helge (33) sind 16 Jahre zusammen; hatten beide vorher nie andere Partner. „Ich habe noch nie einen anderen Mann geküsst“, sagt Anette, „ich sah mich nie dazu veranlasst.“ Kompromisse sind das A und O für die Ehe dieser beiden so verschiedenen Menschen, meint Anette.

„Ich bin sehr zufrieden – auch wenn ich auf manches verzichten musste und einen Teil meines Lebens allein verbrachte“, resümiert Christine Koschnick. Sie ist nunmehr 50 Jahre mit dem einstigen Bremer Bürgermeister Hans Koschnick verheiratet. Allerdings weiß sie auch: „Für einen Mann würde ich heute meinen Beruf nicht mehr aufgeben.“

„Unsere Ehe ist ein Wunder“, meint Pierre. 1989 traf er Julia zum ersten Mal – und machte ihr noch am selben Abend einen Heiratsantrag! „Es war von Anfang an so, als hätten wir uns schon ewig gekannt. Zwischen uns herrschte absolute Übereinstimmung“, schwärmt er. Julia erbat sich 10 Tage Bedenkzeit – und heiratete Pierre ein halbes Jahr später. Ihr Umfeld hatte Zweifel, doch die beiden sind nun schon  14 Jahre glücklich miteinander und haben zwei gemeinsame Kinder. Zwar gab es auch schwierige Zeiten – Julia und Pierre trennten sich zwischendurch für ein Jahr. Aber „ Nur, wenn Julia bei mir ist, fühle ich mich komplett“, sagt Pierre.

„Wir sind immer den schwierigen Weg gegangen“, erzählen Roland und Franz-Josef. Die beiden sind 45 und 46 Jahre alt und könnten Silberhochzeit feiern, wenn sie verheiratet wären. 1979 lernten sie sich kennen und seitdem ist viel passiert. Wenn alles weiter so gut läuft, werden die beiden aber im Januar mit Freunden und Familien ihr 25jähriges Beziehungsjubiläum feiern.

Die Paare in Nele-Marie Brüdgams Buch sind mehr als verschieden, haben aber doch etwas Entscheidendes gemeinsam: Sie alle leben seit Jahrzehnten in glücklichen Partnerschaften. Sie wollen alle für immer mit ihrem Partner zusammenbleiben; fühlen sich durch den Menschen an ihrer Seite und durch die Beziehung bereichert.

Die Autorin dachte sich für diese Partnerschaften die Bezeichnung „Langzeitpaare“ aus – „lang anhaltende Beziehung „ war ihr zu ungenau. Was für andere Assoziationen weckt wie „Langeweile“,  ist für Nele-Marie Brüdgam eine Lebensphilosophie. „ Lange Zeit + Paar = Glück“ lautet auch für sie selbst die Formel. Die 38jährige ist  schon seit 20 Jahren mit ihrem Mann zusammen. Viele wundert das – und so muss sie manchmal Auskunft geben: „Ja, mein Mann und ich haben uns viel zu erzählen, stundenlang, jeden Tag. Nein, wir haben kein gemeinsames Wohnzimmer, sondern jeder ein eigenes Zimmer. Ja, es gibt gelegentlich schlechte Stimmung, ab und an auch Streit. Nein, ich kann mir keinen Grund vorstellen, mich jemals zu trennen. Ja, ich könnte manchmal weinen vor lauter Liebe.“

Sie weiß, dass manch anderes Paar Aspekte ihrer eigenen Beziehung nicht für sich akzeptieren würde – so, wie sie selbst nicht alles, was andere Paare leben, für sich und ihren Partner übernehmen würde.

So soll auch ihr Buch kein Ratgeber sein, der Patentrezepte für das Gelingen einer langen Partnerschaft gibt. Nele-Marie Brüdgam stellt hier einfach zwölf Langzeitpartnerschaften vor, lässt sie Paare in eigenen Worten berichten, wie sie ihr gemeinsames Leben gestalten.

Es sind reale Lebens- und Liebesgeschichten, sie handeln vom Kennen lernen und Verliebtsein, Krisen und Versöhnungen, Zweifeln und Sicherheit, Treue und Treuebruch.

 Die Paare kommen aus Dörfern und Großstädten; Menschen jeden Alters, Hetero- und Homosexuelle, Kinderlose oder Kinderreiche kommen zu Wort; ihre Lebensläufe sind ein Auf und Ab oder sehr geradlinig. Bei einem Paar ist ein Partner seit Jahren pflegebedürftig. Neben den Koschnicks sind Patrick Lindner und Michael Link ein weiteres prominentes Paar.

Nele-Marie Brüdgam fand sie alle durch ein großes Netzwerk von Freunden, Verwandten und Kollegen – sie wollte nicht lauthals über Pressemitteilungen zur Teilnahme an ihrem Buchprojekt aufrufen; und sich und den Lesern damit vielleicht die Auftritte von Wichtigtuern und Selbstdarstellern zumuten, sagt sie.

Viel Zeit hat sie sich für das Zuhören genommen – mit jedem Paar wurden mehrere, teils sehr lange Vorgespräche geführt. Die Aufzeichnung des Gespräches, das später abgedruckt wurde, fand jeweils im privaten Umfeld des Paares statt und hierfür räumten die Paare der Autorin viel Zeit ein – in einem Fall wurde sie gleich für ein ganzes Wochenende eingeladen.

Brüdgam hat ihre Gesprächspartner zum Erzählen ermuntert, denn sie wollte keine Interviews führen. So haben die Paare selbst die Gesprächsschwerpunkte gesetzt. Ein Frageliste hatte die Autorin zwar für alle Fälle dabei, aber sie hat die Gespräche eher moderiert anstatt Punkte abzufragen, mal hier und da nachgehakt und das Gespräch so in interessante Richtungen gelenkt. Was sie interessierte? Zum Beispiel die Frage, wie die Paare mit Konflikten umgehen, wie sie Liebe, Treue und Vertrauen definieren, welchen Stellenwert für sie die Sexualität hat; aber auch eher banale Dinge wie etwa, ob die Partner gemeinsam aufstehen oder getrennt.
Herausgekommen ist ein bemerkenswertes Buch, dass zum Teil sehr berührend ist. Keine einzige Bewertung des Gehörten nimmt Frau Brüdgam sich heraus – und dabei könnte das Thema doch dazu verleiten, Schlüsse zu ziehen und Regeln aufzustellen... Aber – das ist ja gerade das Besondere an dem Buch: es ist kein Ratgeber – und doch kann man aus diesen authentischen Lebens- und Liebesgeschichten sehr viel lernen.

Die Autorin
Nele-Marie Brüdgam ist 1967 geboren und lebt in Hamburg. Sie studierte Fremdsprachen, besuchte eine Journalistenschule und arbeitet heute freiberuflich als Autorin und Redakteurin. Sie liebt es, zeitgenössische Biografien zu recherchieren und aufzuschreiben – jedes Menschenleben steckt voller spannender Geschichten! Dem Thema dieses Buches fühlt sie sich – wie gesagt – persönlich sehr verbunden. Sie lebt seit ihrem 17. Lebensjahr in einer überaus glücklichen Partnerschaft.

Extra-Buchtipps
Weil ich so schreibfaul war, schieb ich jetzt noch zwei Extra-Tipps nach.
Zwei mit uns sehr gut befreundete „Langzeitpaare“ haben uns zum Thema Ehe Bilderbücher zu Weihnachten geschenkt, die auf sehr zarte Weise eigentlich Partnerschafts-Ratgeber sind:

„Als Adam Engelbrecht so richtig wütend wurde“
von Astrid Lindgren mit Zeichnungen von Marit Törnqvist

Die Geschichte spielt in Smaland – der herrlich heilen Welt, in der so viele unvergessliche Geschichten der schwedischen Autorin Astrid Lindgren spielen. (Wer kennt nicht „Michel aus Lönneberga“?)

Adam Engelbrecht ist ein sehr ausgeglichener, friedlicher und bescheidener Stier – und doch wird er gerade am Ostermorgen plötzlich und unerwartet so wütend, dass er ausbricht und schnaubend umhertobt. Der gutmütige Stallknecht Svenson kommt gar nicht mehr dazu, ihn zu fragen, ob er vielleicht mit irgendetwas unzufrieden sei. Er kann gerade noch flüchten bevor sein alter Freund Adam ihn auf die Hörner nimmt... Keiner kann den wilden Stier einfangen – und keiner kann zu den Kühen im Stall vordringen, die so dringend gemolken werden müssten und schon sehr laut muhen. Die Familie des Bauern ist ratlos und denkt nach Stunden der Verzweiflung schon daran, den Stier zu erschießen. Doch da kommt der winzig kleine Kätnerjunge Kalle, gerade sieben Jahre alt, und zähmt Adam Engelbrecht – einfach nur dadurch, dass er ihn liebevoll zwischen den Hörnern krault! Unter stürmischen Beifall der schaulustigen führt der kleine Kalle Adam Engelbrecht in den Stall zurück. „Chbn a Stiere gwönt, nem se nur eifach min  bchen Höflichkeit“, verrät er in echtem Smaländisch...J

„Trüffel und Rosalie“ (oder „Rosalie und Trüffel“ – denn das Buch kann man im wahrsten Sinne des Wortes von zwei Seiten lesen) von Katja Reider mit Bildern von Jutta Bücker

Das rosa Schweinchen Rosalie und das braune Wildschweinchen Trüffel träumen – zunächst jeder für sich – von der Liebe. Sie träumen auch unter einem schönen Apfelbaum – zufällig unter demselben. So treffen sie sich und sind ganz voneinander berauscht. Doch die Familien und Freunde bringen sie tüchtig durcheinander; machen ihnen weiß, es gäbe noch so viele andere Schweinchen. Warum jetzt schon festlegen? Trüffels Freunde behaupten, Frischfleisch warte an jeder Ecke; Rosalies Freundinnen finden, sie solle viele Schweine kennen lernen - „Glücksschweine, arme Schweine, miese Schweine, Stachelschweine.“ Rosalie und Trüffel sind plötzlich zu beschäftigt um noch Zeit miteinander zu verbringen. Denn die Freunde verlangen, dass sie sich auch äußerlich verändern – Gurkenmaske und Gehirnjogging, Bodyfit und neue Frisur...)

Plötzlich erkennen sie sich nicht mehr – Rosalie bemerkt Trüffel nicht und Trüffel fährt ebenfalls an ihr vorbei ohne sie zu sehen. Beide sind untröstlich

„Männer sind Schweine; er wollte Dich nicht“, sagen Rosalies Freundinnen. „Doch, er wollte mich wirklich“, weint Rosalie. Auch Trüffel erkennt, dass Rosalie ihn so mochte, wie er war.
Beide flüchten vor den Freunden. Und wohin? Unter den Apfelbaum. Unter denselben. Und da gibt’s dann ein Happy End.
J

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Jan Weiler - "Maria, ihm schmeckt`s nicht!" Geschichten von meiner italienischen Sippe
Auf Jan Weilers kurzweiliges und erfrischendes Buch bin ich völlig ahnungslos in der Karstadt-Buchabteilung gestoßen. Und – ja, ich muss zugeben, die Aufmachung des Covers hat mich irgendwie angesprochen. Der Klappentext versprach, dass bestimmt auch der Inhalt witzig sein müsste. Und so nahm ich es kurzerhand mit. Gut so!
Das Buch
Der Ich-Erzähler findet sich eingangs vor der Haustür seiner zukünftigen Schwiegereltern wieder – eine für ihn befremdliche Situation, auch wenn Lebensgefährtin Sara, Halbitalienerin und Auserwählte, hinter ihm steht. Denn so mit einem Strauß Blumen, „verkleidet als Schwiegersohn“, kennt er sich gar nicht. Hier aber beginnt eine turbulente, witzige und warmherzige Geschichte über das Erlebnis, in eine italienische Familie einzuheiraten. Denn, Schwiegervater Antonio nimmt seinen „neuen Sohn“– nach anfänglichem Zögern – gehörig unter seine Fittiche.
Dabei zitiert Jan Weiler den wegen seiner Frau Ursula im Rheinland hängen gebliebenen Vollblut-Italiener Antonio waschecht in „italienischem Deutsch“, was zugleich authentisch und sympathisch klingt:
„Wann haste Du Geburtstag?“, fragt „Toni“ beim allwöchentlichen Zelebrieren des Lottozahlen-Ankreuzens: „Wenn ich ein Million gewinne, bekommst Du die Hälfte. Binne i keine Geizhalse, liebe Jung!“
So erleben wir die statements von Antonio Marcipane das ganze Buch hindurch – und es wird immer besser.
Am Ende – nach diversen  göttlich lustigen Familienurlauben und Familienfeiern bei den Verwandten in Süditalien – nimmt das Buch eine ganz unerwartete Wendung: Schwiegervater Marcipane „entführt“ den „liebe Jung“ unter einem Vorwand in die italienische Heimat um dort mit ihm allein auf den Spuren der eigenen, nicht immer so rosigen Vergangenheit zu wandern. Und das wird nicht nur spannend sondern ist auch ein bisschen traurig. Vertraut Vater Marcipane dem Schwiegersohn doch Dinge an, über die er wohl noch mit keinem in dieser Form gesprochen hat. Kindheits-Streiche werden erzählt, alte Freundschaften aufgefrischt, offene Rechnungen bezahlt – und der Schwiegersohn wird Zeuge von Schmerz und Freud eines Italieners, der in der alten Heimat fremd ist und in der neuen selbst nach Jahrzehnten noch ein Ausländer.
Und man kommt am Ende zu dem Schluss, dass Axel Hacke recht hat, wenn er sagt: „Ein wunderbar witziges, warmherziges Buch. Wer noch keine italienischen Verwandten hat, wird nach der Lektüre unbedingt welche haben wollen.“
Der Autor
Jan Weiler, 1967 in Düsseldorf geboren, arbeitete als Texter in der Werbung, absolvierte dann die Deutsche Journalistenschule in München. Er ist heute Chefredakteur des „Süddeutsche Zeitung Magazins“ und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Ambach.
Fazit
Wer mal ein nettes Geschenk für einen lieben Schwiegervater sucht oder sich gut amüsieren möchte, ist mit diesem Buch gut bedient. Ich könnte es mir auch als Urlaubslektüre – vielleicht in Italien? – gut vorstellen. Mich hat es einfach gut unterhalten; ich habe öfters laut gelacht über Antonio  Marcipanes italienische Logik und seine gleichmäßig fröhliche, unbekümmerte Art, selbst mit den schlimmsten Lebenssituationen fertig zu werden. Dieses Buch ist alltagspsychologisch äußerst wertvoll! Viel Spaß beim Schmökern!

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Dietrich Schwanitz – "Männer – eine Spezies wird besichtigt“

Männer  sind uns Frauen ein Rätsel. Das kann auch der musikalische Erklärungsversuch von Herbert Grönemeyers Lied „Männer“ nicht wirklich lösen. Aber, Männer sind sich selbst auch oft ein Rätsel. Wie sollten sie da den Frauen also weiterhelfen?

Macht nichts, denn Dietrich Schwanitz´ Buch „Männer“ kommt uns zu Hilfe. Wer es kennt, der weiß mehr – ob männlich oder weiblich.

Kristians Freund Matthias hat es mir zu Weihnachten geschenkt. Eigentlich wollte ich es ja von ihm leihen, aber es hätte ja sowieso meinen bei guten Büchern stark ausgeprägten Besitzzwang geweckt. Also, danke Matthias!

Das Buch
Dietrich Schwanitz hat mit seinem Buch eine „köstliche Bestandsaufnahme des rätselhaften Wesens Mann“ (Berliner Zeitung) abgeliefert. Doch dies Buch ist kein Scherz, auch wenn es witzig und treffend formuliert, was den Mann ausmacht. Es ist eine ehrliche Aufschlüsselung all der vielen männlichen Eigenschaften – und eine durchaus ernst gemeinte Betrachtung!

„Männer“ begründet – aber entschuldigt nicht – die typisch männlichen Charakterzüge und Verhaltensweisen. Und mit dieser „geistreichen Generalinspektion der Spezies Mann führt es uns (Frauen) schmunzelnd aus den Schützengräben des Geschlechterkrieges“ (Cosmopolitan)

Witzig und klug zugleich ist schon die Aufteilung des Buches. Die acht Kapitel handeln alle von den Männern (z.B. „Das zerbrechliche Ego des Mannes“ oder „Die Liebe“ oder „Die Kommunikation als Wettbewerb“)

 Doch ähnlich wie es in einem Schlösschen in den acht Repräsentationsräumen jeweils ein Bild eines Ahnen gibt, beschreibt Schwanitz in jedem Kapitel einen Typ Mann – lässt uns also einen Blick auf ein „Männerporträt“ werfen, etwa auf „den Kavalier“, „den Scharlatanen“ oder den „Hobby-Gott“. Man kann sich auch einen vom Text der Kapitel völlig losgelösten Rundgang durch die Galerie gönnen und alle „Porträts“ zusammengenommen lesen – also eine literarische Besichtigung sozusagen!

Jedem Kapitel ist dann noch eine Szene aus „Der Komödie der Frauen – Amphityron, oder Alkmenes Drama“ angehängt, die immer zum jeweiligen Thema passt.

Doch, nun zum informativen Inhalt der Kapitel: Da werden uns Frauen – aber vielleicht auch den Männern selbst - die Augen geöffnet über seltsame durchweg männliche Eigenschaften wie z.B. im Kapitel „Die Männerhorde“, wo es z.B. um den Fußball, den Alkohol und den Lärm geht. Schwanitz  holt weit aus in die Vergangenheit des Mannes, geht auf Stammeskrieger und Initiationsriten ein. Denn, wer glaubt, in der Zivilisation seien Mannbarkeitstests nach diesem Muster passe, der verschließt die Augen vor dem ,was die Basis für Sportgruppen, Jugendgangs und Klassenmeuten ist. „Der Mann ist von Natur aus ein Mitglied“ philosophiert Schwanitz. Das wiederum prädestiniere ihn für die Politik, meint er. Nach einem Ausflug in die Porträt-Galerie zur Abteilung der Gremienmitglieder und Stammtischbrüder  kriegt der Autor über die Verknüpfung der Politik und der Horde denn auch die Kurve zu den obigen Punkten Alkohol, Lärm und Fußball – die sogleich nicht mehr ganz so rätselhaft erscheinen.
Im Kapitel über die Liebe wird’s natürlich noch viel interessanter....
„Lesen und dazulernen!“ (Cosmopolitan)

Der Autor
Dietrich Schwanitz, geboren 1940, stammt aus dem Ruhrgebiet und wuchs bei mennonitischen  Bergbauern in der Schweiz auf. Er studierte Anglistik, Geschichte und Philosophie in Münster, London, Philadelphia und Freiburg. Von 1978 bis 1997 lehrte er als Professor für englische Literatur an der Universität Hamburg. Mit seinen Universitätsromanen „Der Campus“ (1995) und „Der Zirkel“ (1998) begeisterte er ein Millionenpublikum ebenso wie mit dem Handbuch „Bildung, alles was man wissen muss“. Heute lebt Schwanitz als freier Autor in Hamburg.

Fazit
Kurzweilig und lehrreich zugleich, hat mich dieses Buch sofort in seinen Bann gezogen. Ich kann es sowohl Frauen als auch Männern sehr empfehlen.
Und - folgendes Zitat am Buchanfang sagt eigentlich schon alles über die Motivation des Autors:
„Der Mann ist niemals gockelhafter, als wenn er von sich selber spricht. Das Thema scheint seine natürliche Eitelkeit hervorzulocken. Es gibt deshalb kein Buch über die Männer, das nicht ein Dokument des Schwachsinns und ein Kompendium der Albernheiten wäre. Es gibt nur zwei, die wenigstens einen Ansatz zur ernsthaften Selbsterkenntnis erahnen lassen. Das eine ist „Der Mann in seinem Verhältnis zum Weibe“, Leipzig 1878, von Gustav Württemberger. Und das andere ist dies hier.“ (L.H. Mankin, „In Defence of Men, 1929)

Das  Buch ist bei Goldmann als Taschenbuch unter der ISBN 3-442-15170-8 erschienen.

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►Mende Nazer / Damien Lewis - "Sklavin"

Das Buch „Sklavin“ - mit dem Aufkleber „Der Bestseller, der ein Leben rettete“ darauf - hatte ich schon oft in den Buchläden liegen sehen. Jetzt hat es mir Kristians Schwester Kornelia nachträglich zu Weihnachten geschenkt – und ich habe es innerhalb einer Woche durchgelesen. So traurig sie auch ist, die Geschichte der Sudanesin Mende Nazar, so mitreißend ist sie.

Das Buch
Wer würde ernsthaft glauben, dass es in unserer heutigen Welt noch Sklaven gibt?
Die Geschichte von Mende Nazer beweist es leider.

Bis zu ihrem 12. Lebensjahr lebt Mende glücklich in der Dorfgemeinschaft ihres Stammes, der Nuba im Sudan. Doch dann erreicht der seit langem wütende Bürgerkrieg ihre Heimat. Arabische Milizen zu Pferd fallen in das Hüttendorf ein, brennen alles nieder, töten auf brutalste Weise die Erwachsenen und verkaufen die geraubten Kinder als Sklaven.

Kurze Zeit später findet sich Mende, die nicht einmal weiß ob ihre Familie den Überfall überlebt hat, in einer reichen Familie in der Hauptstadt Khartoum wieder, wo sie sehr bald merkt, dass sie kein eigenes Leben mehr hat. Sie muss nachts allein in einem Verschlag eingesperrt schlafen, am Tage bis zum Umfallen arbeiten, wird gedemütigt, geschlagen und sogar sexuell belästigt.

Dann wird Mende nach London verkauft – in das Haus eines sudanesischen Diplomaten. Niemand merkt, dass in einem freien europäischen Land Kinder wie Mende wie Gefangene gehalten werden, ausgebeutet und zu seelischen Krüppeln gedemütigt werden.

Dennoch gelingt ihr im September 2000 unter dramatischen Umständen die Flucht. Doch im Oktober 2002 wird ihr Antrag auf Asyl abgelehnt! Obwohl jeder sich denken kann, wo sie enden würde, wenn man sie in ihre Heimat zurückschicken würde!
Was das sichere Todesurteil für Mende hätte sein können, wird erst im letzten Moment abgewendet:

Durch einen Entrüstungssturm der Medien und den Einsatz tausender erschütterter Leser ihres Buches, dass in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Damien Lewis entstand.

In ihrem Buch erzählt Mende zunächst sehr anschaulich von ihrer Kindheit in dem Nubadorf im Sudan. Diese Erinnerungen an ihre Familie, die Gebräuche der Nuba, die schöne Landschaft sind sehr berührend. Doch auch von dem schrecklichen Ritual der Beschneidung, das ihr als kleines Mädchen widerfährt, erzählt Mende.

Sie teilt dieses Schicksal mit vielen afrikanischen Leidensschwestern wie z.B. dem Supermodel Waris Dirie, die sich heute aktiv gegen die Tradition der Beschneidung von Mädchen einsetzt. Denn immer noch sterben viele an den Folgen dieses Rituals oder bei der Geburt ihrer Kinder, die durch Verwachsungen nach der Beschneidung erschwert wird.

Im zweiten Teil des Buches wird die Gefangennahme durch die arabischen Milizen sowie die Zeit als Sklavin ausführlich und in all ihrer Schrecklichkeit geschildert. Es ist kaum zu glauben, dass sich Menschen heutzutage anmaßen,  ein anderes Menschenleben zu besitzen und zu knechten.

Zuletzt schildert Mende ihre Flucht, die Arbeit an dem Buch und ihr Leben in London.

Die überarbeitete Taschenbuchausgabe enthält auch ein Nachwort von Mende Nazer sowie von Damien Lewis.

Die Autoren
Mende Nazer wurde um 1980 geboren – ein genaues Geburtsdatum wird bei den Nuba nicht festgehalten. Aufgewachsen in den Nubabergen im Sudan lebt sie heute in London, nach acht Jahren Gefangenschaft in Afrika und Europa. Ihr größter Wunsch ist es, ihre Familie im Sudan wieder zusehen.

Damien Lewis, britischer Journalist und Sudan-Spezialist, half bei Mendes Flucht und bei der Niederschrift ihres Buches. Mit der Unterstützung von Menschrechtsorganisationen kämpft er darum, die ungeheuerliche Tatsache der Sklaverei im 21. Jahrhundert publik zu machen.

Fazit
So erschütternd dieses Buch über Mendes Geschichte auch ist, war es doch ein Lesevergnügen für mich. Bezaubernd darin sind die Schilderungen aus Mendes Kindheit in den Nubabergen, das Verhältnis zu ihren Geschwistern und Eltern, die Gebräuche der Nuba. Besonders spannend ist z.B. die Schilderung der Ringkämpfe, die dort von den jungen Männern als Sport betrieben werden.

Zugleich ist es wichtig, einmal genau und schonungslos auszusprechen, was Sklaverei auch heute noch bedeuten kann – und  was sie bei jungen Menschen wie Mende anrichtet.
Das Jahr 2004 ist das UN-Jahr gegen die Sklaverei – und man kann nur hoffen und dafür kämpfen, dass sie eines Tages vorbei und die Einhaltung der Menschenrechte eine Selbstverständlichkeit sein wird.
„Eine Biografie wie aus dem Mittelalter“ (Bunte)
„Sklavenhandel, wie man ihn aus Onkel Toms Hütte kennt, ins 21. Jahrhundert transportiert.“ (FAZ)
„Mit ihrer Geschichte hat Mende die Qualen unserer afrikanischen Schwestern sichtbar gemacht. Ich bete und hoffe das Beste für Mende.“ (Waris Dirie)
„Ich bin überglücklich nach so langem Kampf nun sicher in Europa leben zu können. Vor allem meinen deutschen Lesern bin ich zutiefst dankbar.“ (Mende Nazer)

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Zsuzsa Bank – "Der Schwimmer"

Dieses Buch wollte ich schon lange kaufen. Und zwar, weil ich so viel von Zsuzsa Bank gehört hatte, die als Schriftstellerin noch nicht sehr lange bekannt ist. Besser gesagt, gelesen hatte ich von ihr. Und zwar in der Zeitschrift „Brigitte“.
Wenn ich mich recht erinnere, hat die Ungarin auch einmal an dem Kurzgeschichten-Wettbewerb der Zeitschrift („Bettina von Arnim – Preis“) erfolgreich teilgenommen. Ob dies dazu führte, dass sie als Schriftstellerin bekannt wurde, weiß ich auch nicht mehr so genau. Es ist aber auf jeden Fall die richtige Berufswahl für Zsuzsa Bank gewesen!

Das Buch
„Der Schwimmer“ ist ein melancholisches Buch – aber nicht im üblichen Sinn. Ein traurig-schöner Zauber liegt in der Art, wie Zsuzsa Bank die Geschichte von Kata und Isti erzählt. Die beiden Kinder und ihr Vater wurden verlassen. Ohne ein Wort flüchtet die Mutter, Katalin, im Jahre 1956 über Ungarns Grenze in den Westen. Doch von dieser Flucht oder Katalins Beweggründen wird zunächst nichts genaues bekannt. Stattdessen erzählt Kata, wie der Vater - fast apathisch in Schwermut gefallen - in eine innere Gedankenwelt flieht, durch sie und ihren jüngeren Bruder Isti hindurch sieht. „Er taucht“, sagen die Kinder. Und versuchen erfolglos, die Erwachsenenwelt zu begreifen.

Als Kalman Haus und Hof verkauft um fortan mit seinen Kindern auf ziellosen Reisen zu allen möglichen Verwandten durch das ganze Land zu ziehen, erleben die Kinder jedoch auch verzauberte, schöne Momente. Sie bauen sich ihre eigene kleine Welt; jeder auf seine Weise. Während Isti hört, was die Dinge zu erzählen haben – das Haus, die Steine oder der Schnee -, hört Kata den Menschen zu, denen die zwei auf der jahrelangen Reise begegnen.

Die schönste Zeit erleben sie immer am Wasser. An Flüssen und Seen scheint die Welt in Ordnung, erleben sie Leichtigkeit und Glück. Besonders Isti, der alles um sich vergisst, nicht einmal Winterkälte zu spüren scheint, wenn er nur schwimmen darf.

Erst in der Mitte des Buches kommt Katalin wieder ins Spiel. Ihre Mutter hat sie getroffen und erzählt Kalman und den Kindern Jahre nach der Flucht, wie es ihr ergangen ist. Seiten über Seiten taucht Zsuzsa Bank jetzt ein in das Thema Flucht und Neubeginn. Sie lässt die Oma ausführlich erzählen, wie Katalin und ihre Freundin Vali jetzt leben und wie sie sich ihr neues Leben aufgebaut haben – die Kinder hören zu, sind wie betäubt:

„Isti und ich, wir waren im Rückstand“, erzählt Kata. “In einem Rückstand, den wir nicht wieder aufholen konnten. Was wir jetzt erfahren hatten, war längst vorbei. Wir wussten nie, was mit unserer Mutter geschah, jetzt zum Beispiel, wenn wir hier am Tisch saßen, oder später, im Sommer, wenn wir im See schwammen. Was uns blieb, war an sie zu denken – und wir dachten an sie. Wenn Agi spülte, stellte ich mir vor, wie sie Töpfe in der Gastwirtschaft abgewaschen hatte, wenn Zoltan rauchte, sah ich Vali mit einer Zigarette im Mund, die meiner Mutter die Haare aufdrehte...“

Katalin ist nicht der einzige Mensch, von dem sich Kata verabschieden muss. Auch Isti wird sie verlieren – und unweigerlich erwachsen werden müssen.

Die Autorin
Zsuzsa Bank wurde 1965 in Frankfurt geboren. Sie studierte in Mainz und Washington Publizistik, Politik und Literatur, arbeitete als Buchhändlerin. Heute lebt sie als Autorin und Redakteurin in ihrer Heimatstadt.

Fazit
Man fühlt sie förmlich in Zsuzsa Banks Worten, die große Trauer, aber auch die großen Sehnsüchte und Träume der beiden Kinder, die so aus ihrer Mitte gerissen wurden.

Aber mir hat Zsuzsa Banks Roman sehr gefallen. Und das nicht nur wegen der großartig konstruierten Geschichte. Sondern zum einen gerade wegen der melancholischen Erzählweise, die gefühlvoll den Blick auf die wichtigen Kleinigkeiten des Lebens lenkt. Und zum anderen, weil ich in eine unbekannte, fremde und sehr, sehr schöne Welt eintauchen durfte bei dieser behutsamen Beschreibung einer verlorenen Heimat.
Ich denke, von Zsuzsa Bank werden wir noch einiges zu Lesen bekommen...
Das Buch gibt es bisher nur gebunden. Es ist im August 2002 im S. Fischer Verlag erschienen und kostet 18,90 € gebunden. (ISBN 3-10-005220-X) oder ab Januar 2004 broschiert für 9,90 € (ISBN: 3596152488)

Gerne hätte ich übrigens noch einen Geschenktipp zu Weihnachten empfohlen. Ich habe nämlich schon zwei wunderbare Bücher gefunden, die ich verschenken will. Die Empfänger sind aber auch regelmäßige Leser meines Buchtipps....Daher müsst Ihr bitte Verständnis haben – ich kann leider nichts verraten...Überraschungen sind doch wohl das Schönste, oder...?! J

Kleiner Nachtrag vom Webmaster
Susi ist seit ein paar Wochen Mitglied in einem privaten Eppendorfer Literaturkreis. Wir dürfen gespannt sein, was daraus noch alles an Lesetipps auf uns zu kommt!

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Karen Kingston – "Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags“

Nachdem unser Umzug überstanden ist und nun (fast) alles in Kristians und meinem neuen Zuhause seinen Platz gefunden hat, geht es „wohlgeordnet“ weiter mit einem neuen Buchtipp:
Karen Kingston – „Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags“
Dieses Buch werden einige von Euch mit Sicherheit schon kennen – und vielleicht auch schon seine – beabsichtigten – „Nebenwirkungen“ kennen gelernt haben....
Mein Bruder hat mir als erster davon erzählt (warum er es wohl geschenkt bekommen hat – er ist doch so ordentlich und konnte seine kleine Schwester früher immer so gut zum Aufräumen und Wegwerfen überreden...?)
Und nach und nach erzählte mir der eine und die andere von diesem magischen Buch und seinen ...Auswirkungen – möchte ich es mal nennen.

Das Buch
Ja, richtig getippt. In Karen Kingstons Buch geht es um das Ausmisten, um das Ordnung-machen (und Behalten...?!)
Aber zuerst beschreibt die Autorin uns erst mal ausführlich, welche Auswirkungen das ganze Alltagsgerümpel auf uns, unseren Energiefluss und somit auch auf unser gesamtes Wohlbefinden hat. Da, wo zuviel Dreck, Gerümpel oder alte Energien von vorherigen Bewohnern in der Wohnung angehäuft sind, wird nämlich unser Energiefluss gestoppt – und stoppt somit auch uns.

Kingston meint, wenn wir unsere äußere Welt in Ordnung bringen, wird es darüber hinaus auch in uns zu positiven Veränderungen kommen. Und – sein wir mal ehrlich – fühlt man sich nicht echt gut nach erfolgreichem Ausmisten und Ordnen??!! Aber – nur ums Gut-Fühlen geht’s hier nicht. Hier geht’s ans „Eingemachte“...
Nach einer Unterscheidung der „Gerümpelarten“, die uns behindern (z.B. in „ Dinge, die man nicht liebt oder gebraucht“ oder „Dinge, die unordentlich und schlecht organisiert sind“ oder „Alles, was nicht zu Ende gebracht wurde“) wird das Buch immer fesselnder. Denn da erfahren wir, was uns durch solche Ansammlungen alles passieren kann:
„Ansammlungen von Gerümpel machen lethargisch und müde“ sagt die Autorin und nennt als weitere Risiken: „Der Besitz von Krempel hält einen in der Vergangenheit fest“ (Oh ja, das finde ich auch...). Kingston meint, Gerümpel verwirrt und verstopft einen nicht nur, er kann sich sogar sehr negativ auf das Körpergewicht auswirken...(Ein interessanter Aspekt, wenn man daran denkt, wie viel Druck es bedeutet, für das zu eng gewordenen Kleid im Schrank zu hungern. Gebt es einfach weg, dann fallen die Pfunde von selbst... Oder? Kingston meint, das hätte eher mit dem Loslassen von Dingen zu tun, das ein Loslassen von überflüssigem Körperfett zur Folge hätte. Also: eine Diät für Wohnung ist eine verkappte Diät für die Figur..!!)

Für all diese Behauptungen hat sie also auch stichhaltige Begründungen parat. Dass viel Krempel mehr Putzaufwand macht, hat jeder schon mal am eigenen Leib erfahren, oder? Aber – Gerümpel kann auch ein Gesundheits- oder Brandrisiko sein oder sogar depressiv machen. Depressiv, weil: „Krempel raubt Kraft und vermittelt ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit“, weiß Karen Kingston: „Die meisten Formen der Depression werden von einem höheren Selbst hervorgerufen, das uns von dem abhalten will, was wir bisher getan haben da es an der Zeit ist, etwas zu verändern.“

Außerdem kostet Krempel ja auch noch Geld!! Für die Kosten der Aufbewahrung überschüssigen Gerümpels stellt Kingston uns eine Rechnung auf. Da muss man echt staunen.

Jetzt wollen wir natürlich mal wissen, warum – wenn es so schädlich ist – wir so viel ansammeln. Die Autorin erläutert in den folgenden Kapiteln die Gründe: Identität, Status, Sicherheit, Geiz, da Unterdrücken von Gefühlen und zwanghafte Persönlichkeitsstörungen können die Gründe sein.

Tja, und dann wird es praktisch: Gerümpelbereiche in der Wohnung werden aufgespürt (Speicher, Keller, Kruschtschublade, Kleiderschränke, hinter den Türen, in den Ecken – unterm Bett ist Krempel besonders schädlich...) und Tipps zum Entrümpeln beflügeln einen geradezu SOFORT mit dem Aufräumen anzufangen. Hier werden so viele Methoden vorgestellt, dass bestimmt für jeden die richtige dabei ist.

Ein interessantes Kapitel für die, die alles gebrauchen können ist das über die „Sammlungen“!!! Ferner empfehle ist lesenswert, wie man mit geerbten Dingen und Geschenken, die man nicht mag, verfahren kann ohne von ihnen ewig belastet zu werden. Denn – wenn ich immer denke „Ach, ich würde dieses Teil so gern los sein“, hält mich das ja von soviel nützlicheren Dingen ab und raubt positive Energien. Stimmts??
Zum guten Schluss erfahren wir noch, wie man gerümpelfrei bleibt. Und sogar, wie man körperliches und geistiges Gerümpel entsorgt!!!( sehr interessant !)
Die Lehren des Feng Shui kommen in dem Buch immer wieder ins Spiel und helfen ungemein, die Sache mit den Energien zu verstehen!

Fazit
Ich habe dieses Buch bloß auf die positiven Erzählungen bisheriger Leser hin gekauft. Aber mit der Absicht, es Kristian zum Nikolaus zu schenken – gewissermaßen im Hinblick auf das damals noch bevorstehende Ereignis unseres Zusammenziehens...
Aus dem Buchladen zurück, fing ich gleich zu lesen an. Und siehe da, die Wirkung trat prompt ein. Und – es hat auch bei meinem Sammler Kristian etwas genützt: noch vor dem Umzug wurde er zu einem gern und häufig gesehenen Gast beim nahem Recyclinghof – und ein Flohmarkt nach dem Umzug brachte uns sogar noch ein Taschengeld für manches Gerümpel. Ich finde das Buch superklasse. Sofort lesen!!!!

Autor
Karen Kingston hat in den letzten 20 Jahren die westliche Anwendung von Feng Shui international gelehrt. Sie ist in England geboren und aufgewachsen. Seit 1990 lebt sie sechs Monate im Jahr auf Bali und veranstaltet in der übrigen Jahreshälfte Workshops in vielen Ländern der Erde.

Was ich außerdem gerade empfehle
Anlässlich des 50-ten Jahrestages der Erstbesteigung des Mount Everest kann ich folgende Bücher zum Thema empfehlen – für alle, die Reiseberichte von „Extremreisen“ mögen, das Bergsteigen lieben oder für so Leute wie mich - mit Höhenangst und Respekt vor den Gebieten der Erde, die eigentlich kein Mensch betreten sollte, und die somit völlig grundlos von den Berichten dieser mutigen Menschen fasziniert sind...:
Lene Gammelgaard – Die letzte Herausforderung
Helga Hengge – Nur der Himmel ist höher
Jon Krakauer – In eisige Höhen
Mat Dickinson – Drama am Mount Everest
Ich hab sie alle gelesen. Auch wenn sie alle hauptsächlich von der Katastrophe handeln, die sich 1996 am Everest abspielte, als diverse kommerzielle Expeditionen sich in über 8000 Metern Höhe förmlich auf die Füße traten und beim Abstieg von einem schlimmen Sturm überrascht wurden, ist doch jeder Bericht auf seine Art spannend. Und bietet dem Laien viel interessantes Beiwerk zum Staunen – über diese Sucht, den höchsten Punkt der Erde zu „bezwingen“, über die Natur, die sich nicht belügen und zähmen lässt und über das Volk der Sherpa, für die dies ein heiliger Ort ist.

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Tine Wittler - "Die Prinzessin und der Horst"

Dieses grandiose Buch ist mein Juli-Favorit. Es ist besonders gut geeignet als Lektüre für Szenefrauen um die 30, die sich zwischen stressigem aber wichtigem Job, schwierigen Beziehungen – insbesondere mit bindungsunfähigen Männern - und promilleträchtigen Kneipenbummeln zerreißen. Es ist aber auch besonders zu empfehlen für deren beste Freundinnen, die dies alles mit Engelsgeduld mitmachen.
Besonders freuen werden sich über Tine Wittlers Roman aber auch diejenigen Frauen, die Ottensen, seine Kneipen und die Elbe lieben.....

Die Geschichte
Es geht um Mona Rittler, 27 Jahre alt und stark gestresste Talkshowredakteurin. In dem Bemühen ihrer besten Freundin Eske zu helfen, gerät sie in einen ganz schönen Schlammassel. Eske, nicht nur Busenfreundin sondern auch Kollegin der Protagonistin, ist nämlich gerade 30 geworden und nervt Mona mit ihrem Kinderwunsch. Die Mission Monas ist also nun das Auftreiben eines geeigneten Kindsvaters für Eskes Pläne. Beim Chat im Internet gerät Mona an den „Rockster“. Bald ist klar, dass er als Vater für Eskes zukünftige Kinder nicht geeignet ist. Er ist auch sonst nicht recht zu gebrauchen – das geht Mona jedoch erst so richtig auf, als sie sich schon gehörig in ihn verliebt hat und ihre bestehende Langzeitbeziehung aufs Spiel setzt.

Erzählt wird die Geschichte von Mona selbst – und zwar rückblickend d.h. nachdem die Sache mit dem bindungsphobischen  „Rockster“ Niels schon durchgestanden ist. Zwecks Verarbeitung schreibt Mona nämlich an einem Buch über das ewige Auf und Ab zwischen dem „Schizo“ Niels und ihr  – und Eske gibt regelmäßig ihren Senf dazu. Köstlich ist auch die Sprache – also, die kann und will ich hier gar nicht beschreiben. Da ich das Viertel und die Kneipen, in denen sich die zwei Frauen regelmäßig mit ausreichend „Caipis“ von ihrem Arbeits- und Beziehungsstress erholen kenne, hatte diese Lektüre auch noch einen besonderen „Wiedererkennungswert“ für mich. Wiedererkennen  kann sich in diesem Roman natürlich auch jede Frau, die wie Mona auf die Zwischengrößen bei H&M zählt, zu regelmäßigen Frustkäufen und Kontoüberziehungen neigt und auch sonst herrlich unperfekt und inkonsequent ist.
Aber –  jeder, die schon mal so einen „Horst“, wie Niels an der Angel hatte, wird in dieser Srory so einiges bekannt vorkommen...
Viel Spass beim Lesen.
Ach ja, nicht vorenthalten möchte ich das Vorwort der Co-Autorin Almuth Kook:
„Dieses Buch handelt überwiegend von psychisch und physisch deformierten Menschen, deren emotionales Leid sich in schockierendem sozialen Fehlverhalten manifestiert.“
Und die Warnung und Belehrung der Autorin Tine Wittler:
„Sollte irgendwer versuchen, aus dem folgenden Material Rückschlüsse auf real existierende Personen zu ziehen, dann muss ich ihm leider sagen: Ich will das nicht. Alles ist natürlich frei erfunden, und zwar so frei, dass es verdammt anstrengend war.“

Die Autorin
Tine Wittler, geboren 1973, studierte Kultur- und Kommunikationswissenschaften und arbeitete in dieser Zeit als freie Autorin u. a. beim NDR. Seit 1998 ist sie als Autorin für verschiedene TV-Formate tätig. Sie lebt in Hamburg-Ottensen, dem Schauplatz ihres ersten Romans, wo sie die drei großen Ks in ihrem Leben (Kneipen, Krachmachen und Kartoffelaufzucht) problemlos unter einen Hut bekommt....
Achtung
Besonders zu empfehlen ist die Website zum Buch:
www.prinzessinundhorst.de
Bitte unbedingt reingucken. Da gibt’s noch bessere Infos über Roman, Romanfiguren, Autorin, Co-Autorin – und über den richtigen Umgang mit „Horsts“....
Außerdem gibt es ab Oktober 2003 den Nachfolgeroman im Handel. Ich freu mich schon.

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Waris Dirie – "Desert Dawn" (Deutsch: „Nomadentochter“

Dieses Buch habe ich mir in englischer Sprache gegönnt – zum einen, weil die deutsche Ausgabe nur in gebundener und damit viel teurerer Form zu haben ist; und zum anderen um mein Englisch zu trainieren. Und – die Sprache ist wirklich so einfach und direkt, dass das Lesen ohne lästiges Nachschlagen im Lexikon machbar war.

Um so mehr besticht dieses Buch mit einer zauberhaft-mystischen aber auch abenteuerlichen Schilderung einer „Heimreise“ der Autorin in ihr vor Jahren zurückgelassenes Heimatland Somalia.

Das Buch
In ihrem ersten Buch „Wüstenblume“ beschrieb Waris Dirie, geboren und aufgewachsen als Nomadenkind in der Wüste Somalias, ihre Flucht aus dem Heimatland: im Alter von 12 Jahren wollte ihre Familie sie für einen guten Preis (!) an einen greisenhaften Ehemann verkaufen. Der Weg  der couragierten jungen Frau führte sie im Westen schließlich auf die Laufstege der internationalen Modeszene: Waris Dirie ist ein weltbekanntes „Gesicht“ der Revlon-Kosmetik. In ihrer geliebten Heimat musste die Nomadentochter auch erleiden, was täglich 6000 Mädchen immer noch passiert – die grausame Beschneidung als „Reinigungsritual“ ihrer muslimischen Kultur in Afrika. Viele Mädchen sterben an der unsauber und mit primitiven Mitteln (Scherben o.ä.)  durchgeführten „Operation“ – Verstümmelung wäre passender - an Infektionen und Blutungen. So auch Waris eigene Schwester. Wer den „Eingriff“ überlebt, leidet lebenslange Qualen - nicht nur bei Menstruation oder Geburt! In ihrem ersten Buch brach sie mutig das Schweigen über dieses unmenschliche Ritual; als UN Botschafterin setzt sie sich heute für die Rechte der Frauen in Somalia ein. Und räumt unter anderem mit dem Irrglauben auf, der Koran schreibe dieses Ritual für Frauen vor...!

Das vorliegende Buch „Desert Dawn“ hat ein versöhnliches Thema – es handelt vom Heimkommen in die geliebte Heimat Somalia. Nach  über 20 Jahren wagt  Waris  den langen und gefährlichen Weg in die krisengeschüttelte Region an der Grenze zu Ethiopien um ihre Familie zu sehen – insbesondere ihre Mutter, von der sie so viel Wunderbares gelernt hat.

Besonders schön ist die darin deutlich werdende Lebensphilosophie im Leben der Nomaden, die Einfachheit und die Unabhängigkeit der Menschen in der Wüste. Schnell wird klar – wir westlichen Menschen könnten da keinen Tag allein überleben. Um so ehrfurchtsvoller habe ich die Schilderungen von Waris aufgenommen – ein wunderbares Land mit wunderbaren Menschen muss das sein. Mystisch und geheimnisvoll, gefährlich und ursprünglich.

Trotz der vielen Hürden und Vorurteile, denen sie als selbstbewusste Frau gegenübersteht – in der Öffentlichkeit redet kein Mann direkt mit ihr, alles wird mit dem sie begleitenden Bruder besprochen !! -  schafft sie die Reise und – wichtiger !! – die Aussöhnung mit dem Vater, der sie früher nicht einmal richtig beachtet hatte...!

Die  Autorin
Waris Dirie weiß ihr wahres Alter nicht, in ihrer Heimat wird in Regen- und Trockenzeiten „gerechnet“ – da spielen Jahre kaum eine Rolle. Aber für die couragierte Mutter eines kleinen Sohnes ist dies auch nicht wichtig. Sie weiß heute, dass ihr Platz nicht in Somalia sein kann. Hat aber auch mit der westlichen Kultur so ihre „Kämpfe“ – zum Beispiel, wenn sie sieht wie sinnlos hier Wasser und Nahrung verschwendet werden...! Waris Dirie lebt in New York. Ich hoffe, sie gönnt uns noch weitere Literatur über ihre Heimat, die vielleicht zum besseren Verständnis und zur gegenseitigen Toleranz zwischen zwei Kulturen beiträgt, die eigentlich unvereinbar sind.

Das Buch enthält übrigens einige Fotos dieser schönen, mutigen Frau und ihrer Familie in Somalia!

Ein paar Zitate aus dem Buch mögen den Lesehunger wecken:

„I wanted to return to the place where I was born and see it with new eyes. I had no idea where my family was in Somalia. At first it seemed impossible – almost as impossible as a camel girl becoming a fashion model…”

“We all stumble through life and even though I didn`t have a pair of shoes to cushion my rocky path, I don`t regret the path I walked. Some parts have been hard, some things have been wonderful, but it is all experience and everything has a time and a place.”

“My mother was beautiful to me because of the way she took care of her family and her friends and her animals. Real beuty is not something you see in a mirror or on the cover of a magazine; it´s the way that you live your life.”

“The Somalis believe there is a tree on the moon, the tree of life. When your leave falls from the tree that is the moment that you will die. When you are dead, you go to heaven an goodbye…”

“Sometimes great pain is a great gift and I believe Allah had given me a gift. I knew now where to start with my campaign to eliminate female genital mutilation. Woman need to be educated about sex. Men needed to know about women´s bodies as well as their own…”

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Dr. med. Raymond. A. Moody – "Das Licht von drüben"
Nach ziemlich langer Sommerurlaubspause kommt hier ein neuer Buchtipp – aber der hat nichts mit der ehemaligen DDR zu tun, wie der Titel durch das kleine Wörtchen „drüben“ vielleicht Glauben machen könnte...!

In Moodys Buch geht es um so genannte „Todesnähe-Erlebnisse“. Sicher wissen einige von Euch schon was darüber. Ich habe mich lange Zeit an dieses heikle Thema nicht rangetraut – schließlich verdrängen wir doch alle nur zu gern das Ende des Lebens. Wer weiß schon sicher, was wirklich danach kommt? Schließlich ist noch keiner zurück gekommen von „drüben“. Und – gerechterweise muss man sagen – die im Buch geschilderten „Fälle“ handeln ja auch nur von den Erlebnissen der Menschen, die kurze Zeit nicht mehr gelebt haben, also „klinisch tot“ waren wie z.B. für die Zeit eines plötzlichen Herzstillstandes, der durch Wiederbelebungsmaßnahmen gestoppt werden konnte. Und – die wissenschaftliche Forschung versucht ja auch, Logik walten zu lassen und diese Phänomene mit chemischen Prozessen im Körper zum Todeszeitpunkt zu erklären.(„Reise in einen Bereich des Gehirns, der nur in Zeiten der Verzweiflung aktiviert wird..“)

Aber – macht Euch frei von gewissen Vorurteilen gegenüber esoterischen Anwandlungen.  Denn dieses Buch hinterlässt kein Grummeln in der Magengrube – es macht Mut. Mut, dass da noch etwas Versöhnliches auf uns alle wartet. Vielleicht sogar unabhängig davon, dass man – wie z.B. ich – einen bestimmten Glauben hat, der sowieso ein Versprechen bereithält...

Das Buch
Mit dem Untertitel „Neue Fragen und Antworten“ lockt dieses Buch all diejenigen, die eben offene Fragen zum Titelthema haben – und wer hätte das nicht? Also, mich hat es jedenfalls dazu getrieben, es mir zu kaufen.
Was passiert am Ende des Lebens? Es gibt keine – wissenschaftlichen – Beweise dafür, was beim Sterben passiert oder für ein Leben nach dem Tod. (Man kann nur glauben...)
Aber, was sind dann diese Todesnähe-Erlebnisse (TNE), diese Berichte von Menschen, die schon mal „ein bisschen“ tot waren, und von selbst oder durch medizinische Handgriffe ins Leben zurück geholt wurden?
Jeder hat schon mal was gehört von dunklen Tunneln mit dem schönen hellen Licht am Ende; von Menschen, die sich selbst leblos am Unfallort liegen sehen - Schaulustige und Helfer drum herum - und plötzlich merken, dass sie nicht mehr in ihrem Körper sind sondern darüber schweben wie Engel..?
Alles Unsinn?
Nach der Lektüre dieses Buches fällt zumindest auf, dass das keine Einzelfälle zu sein scheinen. Erstaunlich viele Menschen, die einmal klinisch tot waren, haben diese Erlebnisse gehabt, berichtet Moody. Und – das „Erlebte“ ähnelt sich so sehr, dass es die Forschung inzwischen sehr beschäftigt, was nun dran ist an den TNE.
Bei der Erforschung der TNE handelt es sich um einen ganz jungen Zweig der paranormalen Forschung, der Parapsychologie (die natürlich nicht für sich beanspruchen kann, eine exakte Wissenschaft zu sein, da keins ihrer Gebiete wissenschaftlich bewiesen ist. Die Parapsychologie beschäftigt sich mit Gebieten wie Präkognition, Telepathie, Ausleibigkeitserlebnissen etc.)

Mitte der 60er Jahre stieß der junge Philosophiestudent Moody auf das TNE des Psychiaters Dr. George Ritchie aus Virginia. Dieser war als junger Soldat „gestorben“ und wieder ins Leben zurückgekehrt. Wegen einer Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert, erlitt Ritchie dort einen Blutsturz und verlor das Bewusstsein. Als er die Augen aufschlug, sah er seinen eigenen Körper auf dem Bett liegen. Draußen auf dem Flur lief ein Pfleger geradewegs durch ihn hindurch und ein Mann, dem er auf die Schulter klopfte, reagierte überhaupt nicht. Wieder im Zimmer, fand er es „von über tausend Lichtern erhellt“, und es erschien eine Gestalt, in der er Jesus erkannte; die führte ihn geradewegs in eine prächtige Stadt und sprach zu ihm ausführlich über die Folgen des Sündigens. Als Ritchie aus dem Koma erwachte, war er überzeugt davon, erlebt zu haben, was Sterben ist.

Dieser Bericht muß Moody wohl sehr gefesselt haben. Er begann jedenfalls, Material zu sammeln, und stieß auf viele weitere Varianten von TNE, die sich im großen und ganzen aber sehr ähneln. Als TNE-Komponenten haben Moody und andere Forscher – z.B.-folgende Erfahrungen oder Phänomene zu Protokoll genommen:

Meist merkt der „Gestorbene“ erst wenn er sich selbst sehen kann, was geschehen ist.(„Verlassen des Körpers“) Außerhalb seines Körpers kann er auch den Raum verlassen und Dinge sehen und hören, die dort stattfinden. (In einem Fall erzählt ein Mann, dass er während des TNE seine weinende Mutter auf dem Krankenhausflur sah; sein Körper wurde zu dieser Zeit in einem anderen Raum von Ärzten wieder belebt. Später erzählte er – selbst erstaunt – seiner Mutter und den verblüfften Ärzten davon.)

Manche berichten von einem dunklen Tunnel; und von einem besonders hellen Licht an dessen Ende.(„Tunnelerlebnis“) Viele erleben ein Gefühl von Liebe und Güte, das sie ganz und gar erfüllt. Friede und Schmerzlosigkeit stellen sich ein.

Manche treffen auf eine gütige Gestalt – viele bezeichnen sie explizit als Jesus - , die sie leitet und führt, aber auch – in manchen Fällen zu ihrem irdischen Leben befragt bzw. ihnen etwaige Verfehlungen „vorführt“(„Lebensrückblick“) Manche bezeichnen die Gestalt(en) als Lichtwesen; insbesondere Kinder erzählen von Engeln...

Die Rückkehr ins irdische Leben erfolgt meist widerwillig. Manchmal wird sie von der „führenden Gestalt“ beschlossen und begründet – nach dem Motto, es sei noch nicht an der Zeit –, manchmal „entschließt“ sich der „Gestorbene“ zurückzukehren z. B. weil er sieht, wie die Angehörigen leiden oder, weil er fühlt, dass sie ohne ihn (noch) nicht auskommen können.

Einige TNE-Patienten berichten auch vom Zusammentreffen mit bereits verstorbenen Verwandten oder Freunden bei ihrem „Kurzbesuch“ im Jenseits.

Man könnte ja jetzt sagen: Wer das „erlebt“ hat, ja will der denn überhaupt noch auf der Erde weiterleben? Aber auch hier hat Moody die Antwort parat: Die Beobachtungen zeigen, dass die TNE offenbar eine verwandelnde Kraft haben. Die „Zurückgekehrten“ leben ihr Leben nach dem TNE bewusster. Liebe, Güte und Wissen bzw. Lernen sind ihnen wichtiger (als vorher). Es entsteht offenbar eine andere Wertschätzung für die Zeit auf Erden.

Von einem neuen Gefühl der Verantwortung ist die Rede – insbesondere für die Folgen eigenen Handelns.
Manche ändern ihr Leben, werden auf positive Weise aktiver, leben mehr für die Familie, nicht mehr so karriereorientiert.
Wer dem Tod nahe war, kehrt mit dem Gefühl zurück, dass auf der Welt alles mit allem verbunden ist, heißt es in Moodys Buch
Und – der eine oder andere, der vorher vielleicht die Existenz Gottes für unmöglich gehalten hatte, wird gläubig. Die meisten haben von nun an keine Angst mehr vor dem Tod.

Fazit
Dieses Buch hinterließ bei mir – wider Erwarten - ein gutes Gefühl.
Was uns erwartet auf dem Weg in „die andere Welt“ – so heißt es hier – sind Liebe und Güte anstatt Schmerz und Angst....?! Das ist doch eine gute Nachricht, oder?
Auch hat mir gefallen, dass Moody „auf dem Teppich bleibt“; er ist sich der Grenzen seiner Ergebnisse wohl bewusst. (Schließlich befassen sie sich ja auch nur mit einem Grenzbereich – dem Übergang von „hier“ nach „drüben“.) Das erhöht die Glaubwürdigkeit seiner Person und seines Buches. 
Zudem lässt er auch Stimmen zu Wort kommen, die das Phänomen TNE als solches anders erklären und mit ihren Erklärungen widerlegen möchten. Auch ihnen fehlt es aber an derselben Stelle wie den TNE-Forschern: an  der wissenschaftlichen Beweisbarkeit.
Soll also der Verstand oder das Herz eines jeden Lesers selbst entscheiden, was er glauben will.
Im letzten Kapitel „Schlussfolgerungen“ heißt es:
„Ich habe mit fast allen TNE-Forschern auf der Welt über ihre Arbeit gesprochen. Im Herzen halten sie Todesnähe-Erlebnisse für einen Blick in ein zukünftiges Leben. Aber als Naturwissenschaftler und Ärzte konnten sie immer noch nicht wissenschaftlich beweisen, dass ein Teil von uns weiterlebt, wenn der physische Körper gestorben ist. Der fehlende Beweis hindert sie daran, ihre wahre Meinung in der Öffentlichkeit zu äußern.“

Der Autor
Nachdem Dr. med. Raymond A. Moody der Philosophie überdrüssig geworden war, studierte er Medizin. Als junger Arzt führte er nun seine Forschung nach TNE weiter. Unbekümmert befragte Moody Hunderte von Patienten nach ihren Erlebnissen – und war erstaunt, wie sehr sie übereinstimmten. Dieses Staunen und seine Ergebnisse über TNE gab er in dem Buch „Leben nach dem Tod“ an seine Leser weiter. Es wurde ein Bestseller. Mittlerweile arbeite er „über 20 Jahre an vorderster Front der TNE-Forschung“, sagt der Autor.
„Das Licht von drüben“ ist sein zweites Buch zu diesem Thema. Es mustert die Methoden und Resultate der TNE-Forschung und beschreibt die typischen und verblüffenden aus 1000 Fallbeispielen. Einige TNE-Forscher werden vorgestellt und ausführlich verweist ein Anhang auf die Literaturquellen.
Viele andere Forscher haben Moodys Ergebnisse seit damals wiederholt bestätigt. Doch – „Moody hat mit seinem ersten Buch ein ähnliches Paradigma geschaffen, wie jener Mann, der die Quellen des Nils entdeckte“, meint Colin Wilson in seinem Vorwort zu „Das Licht von drüben“.

Selbst der Tiefenpsychologe C.G. Jung hatte übrigens ein TNE – während eines Herzanfalls. Er schrieb 1944 an eine ungenannte Adressatin:
„Das, was jenseits des Todes sich ereignet, ist so unaussprechlich großartig, dass unser Gefühl und unsere Imagination nicht ausreichen, um auch nur einigermaßen richtig aufzufassen...

Früher oder später werden alle Toten zu dem, was wir auch sind. Um dieses Wesen wissen wir aber in dieser Wirklichkeit wenig oder nichts; und was werden wir jenseits des Todes noch von der Erde wissen? Die Auflösung unserer zeitbedingten Form in der Ewigkeit ist kein Verlust an Sinn. Vielmehr lernt der kleine Finger seine Zugehörigkeit zur Hand kennen.“

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Michael Richter – "Gekommen und geblieben" – Deutsch-türkische Lebensgeschichten

Dieses Buch ist in doppelter Hinsicht eine Überraschung für mich.

Erstens, weil Angela – aus dem schönen Schwarzwald in Hamburg zu Besuch – mit mir auf einer Decke im Stadtpark saß, als ich einen Artikel im Hamburger Abendblatt über dieses Buch las; und sich später heimlich den Titel aus der Zeitung abschrieb um es mir zum Geburtstag zu schicken!

Und zweitens bin ich ganz schön überrascht, was ich alles nicht wusste über die türkischen Migranten  „der ersten Stunde“, die so genannten Gastarbeiter, die vor Jahrzehnten nach Deutschland kamen – und sehr oft auch hier blieben. Ich hätte außerdem nie gedacht, dass die Menschen dieser Generation so offenherzig und ehrlich über ihre „Pionierzeit“ in Deutschland erzählen würden.

Das Buch
Warum sind so viele hier geblieben? Trotz Ausländerfeindlichkeit. Trotz erschwerten Arbeitsbedingungen. Trotz Sprachbarrieren – die manche nie wirklich überwunden haben.

Die elf Lebensgeschichten der Arbeiterinnen und Arbeiter, Studenten, Kaufleute , Handwerker und politischen Flüchtlinge sind offen und entwaffnend, spannend und Mitleid erregend, fremd und doch sehr verwandt manch deutschem Schicksal.

Manch einer von denen, die mutig und unter schwierigen Reisebedingungen die Heimat verließ, wurde am Anfang ausgenutzt als billige Arbeitskraft, musste die „Dreckarbeit“ machen, die kein Deutscher machen wollte. Doch keiner der elf türkischen Männer und Frauen in diesem Buch hegt Groll gegen die Deutschen „Gastgeber“:

Erstaunen kommt auf, wenn die über 80-jährige Bedriye Furtina von ihren Anfängen in Deutschland erzählt, denn die ihr bis dahin vertraute Rollenverteilung ist hier nicht mehr gültig: Ihrem Mann in die neue Heimat nachgereist, wollte sie sich dem Haushalt und der Erziehung der Kinder widmen. Aber in Deutschland „ist es verboten, zu Hause zu sitzen“, sagt sie. Das Arbeitsamt klopft schon bald an die Tür um ihr klar zu machen, dass sie in Deutschland arbeiten muss. Ihr Ehemann verbietet es. Erst als „er von der Trinkerei einen Herzinfarkt bekommt“ und nicht mehr arbeiten kann, gibt er seiner Frau die Erlaubnis dazu. Bedriye sammelt bei Tchibo für vier, fünf Stunden täglich Tassen ein und spült sie – für 2 Mark die Stunde. Bei Tchibo nennt man sie Ayse; Bedriye können die deutschen Kollegen nicht aussprechen. Als im Geschäft eines abends länger zu tun ist, gibt es trotzdem wieder Probleme mit Bedriyes Mann, der sie viel zu früh abholen will. Sie schickt ihn nach Hause – doch er kommt zurück und wirft vor Wut einen Stein in die Tchibo-Fensterscheibe...

Ein Wendepunkt im Leben der türkischen Arbeiterin Bedriye. Ihr Chef und die Kollegen helfen ihr, ihr Leben allein in die Hand zu nehmen. Und sie schafft es.

Respekt kommt auf, wenn die Lehrerin Hadiye Akin, Jahrgang 1948, von ihrem privaten und beruflichen Spagat erzählt: Schon in der Türkei hatte sie die Lehrerausbildung absolviert, konnte ihre Fähigkeiten aber erst nach zehn Jahren in Deutschland nutzen. In den achtziger Jahren betreut sie ein Klasse mit einer deutschen Lehrerin im Tandem – so nehmen sie sich der sprachlichen Defizite und der kulturellen Differenzen der türkischen Kinder an. Eine sehr moderne Form des Unterrichts. Aber auch Hadiyes Mann ist zuerst gegen den Deutschkurs am Goethe-Institut und auch gegen die Arbeit. Hadiye setzt sich durch – und schafft ihr gewaltiges Tagespensum aus Unterricht, Deutschkurs, Haushalt, Hausaufgabenbetreuung der beiden Söhne, Elternabenden – sie gibt sogar noch Theater- und Folklorekurse. Und, weil die beiden Söhne immer schlechteres Türkisch sprechen, schickt sie sie nachmittags zur Konsulatsschule und spielt abends „Stadt, Land, Fluss“ mit ihnen– in beiden Sprachen! Erst als sie erkrankt und in Frühpension geht, bereut ihr Mann seine Eifersucht auf die Karriere seiner Frau. Inzwischen genießen sie gemeinsam ihr Rentnerleben in Deutschland, gehen zusammen zum Sport, ins Kino oder Kaffee-Trinken.

„Altona ist mein Dorf“, sagt der Friseur Behcet Algan. Er kam aus politischen Gründen nach Deutschland. “In den siebziger Jahren wurden Sozialdemokraten wie ich, aber auch alle anderen, die kritisch waren, brutal unterdrückt“, erzählt er. Als der linke, sozialdemokratische Journalist Abdi Ipekci – wegen seiner Kritik an der politischen Gewalt in der Türkei ein großes Vorbild für Behcet – ermordet wird, ist für den jungen Mann das Maß voll. „Jetzt kann ich die Türkei nicht mehr lieben“, fühlt er. Der Friseur lässt seine Angestellten in der Türkei seinen Friseursalon weiter betreiben und geht nach Deutschland. „Als ich hier ankam, sagte ein merkwürdiges Gesetz: Aufenthalt bekommen wir, aber eine Arbeitserlaubnis bekommen wir nicht“ erzählt er. Fünf Jahre ernährt er sich durch einen Putzjob. Behcet Algan ist stolz, nie vom Sozialamt abhängig gewesen zu sein. Dann übernimmt er das alteingesessene Geschäft eines Ottenser Friseurs – und führt es erfolgreich seit über zwanzig Jahren weiter.

 
Wenn alles so fremd ist, warum bleibt man dann so lange?

„Ein Kind geht immer in die Schule“, sagt Behcet Algan. Daher entschieden er und seine Frau sich, so lange zu bleiben, bis die Schulzeit der Kinder vorbei war. „Je mehr Zeit verstrich, desto mehr entfernte sich auch die Türkei von uns“, gibt er zu. „Heute ist meine Heimat zu 51 Prozent hier und zu 49 Prozent drüben, wenn ich ehrlich bin.“

Hadiye Akin hat noch ein Haus in der Türkei. Als ihre Mutter noch lebte, war sie jeden Sommer dort.  „Aber, wenn ich sechs Wochen in der Türkei war, bekomme ich Heimweh nach Hamburg“, meint sie. Sie ist sich sicher: „Ich lebe hier und ich werden auch hier bleiben, weil meine Kinder hier sind.“

„Ich bleibe erst mal hier“, sagte sich auch der heutige Beauftragte der Gewerkschaft für türkische Arbeitnehmer, Hüseyin Yilmaz, als er nach Deutschland kam. In der Anfangszeit wurde damit der jährliche Gang zur Ausländerbehörde um die Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern aber zur Zitterpartie, denn „es gab ja kein Kästchen für „ich weiß noch nicht“ oder „wird sich noch zeigen“ in dem Formular“, erzählt er. Und man musste immer beantworten, wie lange man bleiben will – und warum. Inzwischen ist er – trotz der vielen Anfeindungen, die er in seiner heutigen Position erleben musste – gern in Hamburg. Aus zwei Wochen geplantem Hamburg-Aufenthalt sind 32 Jahre geworden! Keine leichten Jahre. Es sind die kleinen Alltagssituationen, die Leuten wie Yilmaz ihr Ausländerdasein klar machen. So, wie vor ein paar Jahren, als er sich für sein Kind um den freien Platz in einem Kindergarten bewarb, der für ein Migrantenkind reserviert war. Ein deutsches Kind wurde vorgezogen. Argument: es würde sich besser integrieren. „So etwas sitzt schon tief“, räumt Yilmaz ein: „Aber, deswegen klein beigeben?“ Wenn er in Rente geht, wird es wohl ein Pendelleben zwischen Hamburg und Antalya werden. Denn – wie bei fast allen Personen in diesem Buch – gibt’s gleich zweimal so was wie eine Heimat auf dieser Welt.

 Man könnte hier endlos lange die spannenden Lebensgeschichten schildern. Lest sie lieber selbst. Denn es geht um ganz besondere Menschen. Die haben sich nicht einfach „durchschlawienert“ und von deutschen Ämtern aushalten lassen. Sie waren jung als sie kamen, wollten zeigen, was sie leisten können – und haben es geschafft. Ihre Besonderheit: sie waren damals „Vorkämpfer“ – in der Arbeit in einem neuen Land, in der Kindererziehung in einer fremden Kultur und im Verknüpfen von Heimattradition und moderner fremder Lebensweise.

Das Buch „Gekommen und geblieben“ enthält ein Vorwort über die „Generation der Pioniere“ von Dilek Zaptciglu und eine Einleitung über das Projekt „deutsch-türkische Lebensgeschichten“ von Michael Richter und Cengiz Yagli.
Aydan Özoguz schreibt am Ende der offenherzigen und ehrlichen Lebensschilderungen noch über die Perspektiven der zweiten Generation türkischer Migranten.
„Gekommen und geblieben“ ist in der Edition Körberstiftung unter ISBN 3-89684-048-7 erschienen und kostet 14 Euro.

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